Werner Lutz Handschrift

Lyriker und Maler

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«Nahfern schwerschwebend. Eine Zeile, zwei Wörter, ein Mantra. Zwei Wörter, die selber sind, wovon sie reden, falls sie denn von ‹etwas› überhaupt reden und nicht vielmehr reine Wort-Gegenwart sind. Werner Lutz, dem aus dem Appenzellischen stammenden und in Basel lebenden Dichter und Maler gelingen solche Wunderwörter. Auch dieses, ein beinah lachendes: Nelkenduftferkel. Er hat es zum Titel seiner jüngsten Gedicht-Sammlung erkoren.

Gedichte? Lutz macht sich (wie schon im zuletzt erschienenen Band Die Mauern sind unterwegs 1996) ganz rar — eine, zwei, drei, vier Zeilen, einige Male noch fünf, mehr nie und wie absichtslos verstreut über die Seiten des bei Waldgut verlegten Bändchens.

Gedichte sind es dennoch, und zwar die vollständigsten, die man sich denken kann. Oder ließe sich zum Thema ‹Vergänglichkeit› — wenn den Texten denn ein Thema zu unterstellen ist — mehr sagen als dies: Schon wieder eine Farbe / zum Erlöschen gebracht / diesmal ein herbes Quittengelb?

Was den siebzigjährigen Autor gewiss beschäftigt, ist das Unterfangen / den eigenen Herbst zu planen. Dabei lässt er sich begleiten von Gerüchen, Pflanzen, Tieren. Zu jammern gibt es nichts, vielmehr, fast beiläufig, festzustellen: Ach ja / mit den Erdbeerlippen den Heidelbeerlippen / ist es vorbei. Ach nein: Hier im Gedicht sind sie noch da, him-, erd- und heidelbeerlippig schmecken sie nach und überlisten ihren Autor.

Der Autor ist selber listig genug, über sich selbst nicht zu grübeln, aber zu lächeln. Mein Gott / was für ein Jahrgang / wenn man mich trinken könnte, heißt ein weiterer der beneidenswert gelassenen Kurzverse, mit denen man sich gern unter einen von Lutz' Pflaumenbäumen setzen würde, zu denen im Frühling jene heimlichen grasbewachsenen Pfade führen, die der Autor mit dem überraschenden Wort nennt: heiliggesprochen.»

Peter Surber, St. Galler Tagblatt, 2000

«Werner Lutz, Träger des Basler Literaturpreises, ist immer sehr behutsam mit den Worten umgegangen. Das Gedicht ist eine Skulptur aus Sprache gemeißelt. Für Zufälligkeiten ist kein Platz, schreibt er in den Gedanken über das Gedicht (unveröffentlichtes Manuskript). In seinem erlesen gestalteten Lyrikband Nelkenduftferkel treibt er die Verknappung des Textes sehr weit: War es ein Frauenname / das brennende Rot / in dem uferlos werdenden Blau. Es geht noch kürzer: Von Ort zu Ort verschieden / nachdenklich sein. Oder in extremer Reduktion: Nahfern schwerschwebend.

Die drei Texte stehen auch für die drei Themenbereiche des Bändchens: Die meisten der 45 Kleingedichte deuten entweder im Biographischen verwurzelte Erfahrungen an oder sie formulieren so etwas wie vorsichtigste Lebensweisheiten oder sie zeichnen (im Extremfall mit nur zwei Wörtern) alltägliche Wahrnehmungen und Eindrücke nach. In seltenen Momenten tritt das lyrische Ich etwas deutlicher hervor: Mich geärgert / über meine Dienstbotenseele /die sich ständig verneigt. Nelkenduftferkel ist eine Kostbarkeit — gerade auch für Leser, die sonst der Lyrik misstrauen»

Valentin Herzog, Dreiland-Zeitung, 2000