Werner Lutz Handschrift

Lyriker und Maler

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«Wer ist Werner Lutz? Natürlich, man kennt ihn, den unauffälligen, irgendwie alterslosen Mann, der manchmal wortkarg in lauter Gesellschaft auftaucht. Still, scheu sitzt er dann und wann an einem Tisch, an dem heftig über Literatur geredet wird, sagt wenig, trinkt sein Glas aus, beobachtet. 1948 ist Werner Lutz als Achtzehnjähriger nach Basel gekommen. Schon 1955 erschienen seine ersten Gedichte in den ‹Akzenten›; doch wenn man Lutz auf seine poetische Arbeiten hin ansprach, schien er immer irgendwie erstaunt zu sein; er mied die Öffentlichkeit. So blieb Werner Lutz fast ein Vierteljahrhundert lang das, was man gerne einen Geheimtipp nennt.

Ich brauche dieses Leben, der Titel ist Programm; Illusionslosigkeit klingt in diesen vier Wörtern auf, Nüchternheit, die von der eitlen Pose des Weltschmerzes ebenso weit entfernt ist wie von irgendwelchem Hurra-Optimismus gleich welcher weltanschaulichen Färbung: Ich brauche dieses Leben / dieses verlorene Wort in dem ich wohne. / Ich brauche den Schritt aus der Wand in dieselbe Wand. Doch Nüchternheit allein macht noch keinen Dichter. Egon Ammann umschrieb das so: ‹Ich habe in Werner Lutz jemand gefunden, der vorausschaut für mich, der Dinge sieht, die ich nicht sehe.› Hinzuzufügen wäre, dass Lutz mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er über die Bedingungen des Lebens spricht, auch die Innersten Innenräume des Daseins, Bedrohungen, Ängste, Träume registriert: Ich verbrenne mein Leben / um gegen die Nächte anzukommen. Und überdies beherrscht Lutz die so seltene Kunst, sein lyrisches Ich ganz ruhig in den Mittelpunkt seiner Gedichte zu stellen, ohne es peinlich zu entblößen: Ich zeichne mein Leben mit einfachen Strichen. Und dies alles tut Werner Lutz mit sprachlichen Mitteln, die so schlicht, so natürlich sind, dass man sich fragen möchte, wie es in einer von Tag zu Tag komplizierter werdenden Welt möglich sei, Dinge so einfach zu sagen, ohne sich der Vereinfachung schuldig zu machen. Die Antwort auf diese Frage müsste lauten: Werner Lutz versteht es, seine Aussagen so vollkommen in die innerste Gesetzmäßigkeit der Sprache einzupassen, dass der Eindruck entsteht, die Sprache selber trage seine Gedichte.»

Valentin Herzog, Basler Zeitung, 1979

«Der Gedichtband Ich brauche dieses Leben von Werner Lutz umfasst knapp siebzig Seiten und enthält Gedichte aus den Jahren 1955 bis 1979. Auf nahezu ein Vierteljahrhundert also erstreckt sich die Entstehungszeit dieser meist kurzen lyrischen Texte, und doch ist der jetzt vorliegende schmale Band die erste Buchveröffentlichung des Dichters, der 1930 in Wolfhalden im Kanton Appenzell geboren wurde. Seinerzeit hat er mit seinen Gedichten die Aufmerksamkeit von Walter Höllerer und Hans Bender auf sich gezogen. Sie druckten sie in der Zeitschrift ‹Akzente› ab. Aber erst jetzt erscheinen sie, zusammen mit neuen Arbeiten.

Wenn einer, der eben fünfzig geworden ist, mit erster Lyrik an die Öffentlichkeit tritt, so ist das zweifellos ein atypischer Fall. Die Regel ist eher, dass junge Talente etwas zu früh entdeckt werden. Bei Werner Lutz haben wir es mit einem Gegenläufer zu tun, mit einem Lyriker, der lange gewartet hat.

Seine Gedichte haben Bestand. Dankenswerterweise sind die Entstehungsjahre im Inhaltsverzeichnis angegeben. Man kann zwischen den frühen und den neueren und neuesten Texten Vergleiche anstellen. Dabei zeigt sich sofort, dass da allenfalls motivische, stimmungsmäßige, kaum jedoch Unterschiede der Qualität vorliegen. Hier ist, und dies schon in den ersten Zeilen von 1955, ein Dichter, der zurückhaltend und wortkarg, dem Verstummen näher als dem Reden scheint. Vielleicht, dass sich diese Tendenz eher verstärkt im Laufe der Jahre.

Später dann nimmt er zurück, was Stimmung und Sehnsucht, was innere und äußere Bewegung benennt. Man könnte bei manchen seiner Gedichte von Bilanzen reden; einer, der Erfahrungen macht, Einsichten sucht und auf Entdeckungen ausgeht, überprüft sachlich, was er gefunden hat. Er stellt zusammen und zieht Bilanz. Sie ist bescheiden. Aber in dieser Bescheidenheit liegt zweifellos auch die Stärke dieser Lyrik, die Wahrhaftigkeit dessen, was hier festgehalten ist. Immer ist da Zurücknahme, Negation auch, Scheu vor Pathos und großen Worten, aber doch auch die Sprache eines Menschen, dessen Gelassenheit nicht Resignation ist. Es ist eine Welt der nüchternen Bestandesaufnahme, der Stille und Gelassenheit, zugleich aber auch eine Welt voller Geheimnis und Leben.»

Anton Krättli, NZZ, 1980

«Mit 25 Jahren hatte Werner Lutz erstmals Gedichte veröffentlicht. In den Jahren seither sind immer wieder einzelne Gedichte von ihm in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien erschienen. Erst jetzt, weitere 25 Jahre nach den ersten Publikationen, ist von ihm Ich brauche dieses Leben herausgekommen.

Aus dieser jahrzehntelangen Arbeit in bescheidener Zurückhaltung ist eine Gedichtsammlung von außerordentlicher Kraft und Prägnanz gewachsen. Es sind keine modischen, nach irgendeiner gängigen Etikette schielenden Gedichte, diese schlichten, schnörkellosen, wunderschönen Gebilde von Werner Lutz: Seltsam / wie leicht das Licht schmilzt / wenn ich in meine Hände hauche / und etwas / das wie Landregen fällt / macht mich allmählich alt.

Nüchtern und illusionslos befragt Lutz sich, seine Umwelt, sein Leben. Ich brauche dieses Leben / dieses verlorene Wort in dem ich wohne, so beginnt das Titelgedicht. Mit unverbrauchten Bildern und einer virtuosen Fähigkeit, die Sprache selbst zum Kunstgegenstand zu machen, dringt der Dichter in Bereiche vor, die uns in einer hektischen, von kühlem Verstand dirigierten Zeit fremd geworden sind.»

Heinz Stierli, Vaterland, 1980